Auf der Suche nach: Maulaffen-orten?
Pecha Kucha Vortrag im transdisziplinären Symposium N°3 STADT.LAND.SCHLUSS für Gestalter und Entwerfer, veranstaltet von der designgruppe koop, Marktoberdorf 2019
Verfasser:innen: Alexandra Bauer, Michael Schmölz
„Unser Ort braucht eine neue Mitte“ - „Ein neuer Dorfplatz in Hinteroberholzhausen“ - „Die Ortsmitte Futsching stirbt aus - die letzte Einkaufsmöglichkeit schließt.“ - Sätze, die uns in den Regionalnachrichten täglich begleiten. In der Freiraumplanung und der städtebaulichen Entwicklung am Land liegt der Fokus - auch berechtigt - auf den repräsentativen Ortskernen, (also) den scheinbar identitätsstiftenden und strukturrelevanten Gebäuden und Freiflächen der Dörfer und Kleinstädte. Fördermittel der integrierten ländlichen Entwicklung und der Dorferneuerung fließen in aufgehübschte, aufgeräumte, verkehrsberuhigte Dorfmitten mit wertigen Belägen, designten Sitzmöglichkeiten, adretten Blumenrabatten, pädagogischen Infotafeln und historisch begründetem Antlitz.
Aber reicht es, sich bei der Gestaltung guter ländlicher Räume nur auf die Planung von zentralen, die Gemeinschaft als dominante Kultur repräsentierenden Orten oder privaten Wohnumfeldern zu konzentrieren? Vergisst man dabei nicht gerade diejenigen Orte ‚dazwischen‘ - die Orte, die im alltäglichen Gebrauch der Bevölkerung tagtäglich Bedeutung erlangen und für diesen typisch, notwendig und wichtig sind - oder sogar wichtiger?
Wir dokumentieren lokale, öffentliche Erfahrungs- und Begegnungsräume - Orte des Aufeinandertreffens, der Kommunikation, des Austauschs - des Sehens und Gesehen Werdens – ‚Maulaffenorte‘ eben. Orte, die spontan, ungeplant und eher beiläufig aus dem täglichen Gebrauch entstehen und diesen wiederum ermöglichen.
Orte, die sich eher in den „Hinterhöfen“ öffentlicher Räume, die sich ‚außen‘, ‚zwischen‘ oder ‚am Rand‘ entwickeln und deswegen in der öffentlichen Wahrnehmung weniger präsent sind.
Wir meinen, dass es sich lohnt und sogar notwendig ist genau und unvoreingenommen hinzuschauen. Systematisches Suchen, geleitet durch Kategorien und Zielqualitäten, wird vermengt mit der Spontanität von Begegnungen und offenen Gesprächen zum alltäglichen Leben. Auf Spaziergängen schauen wir hinter die Fassaden, in Gesprächen und der Literaturrecherche lesen wir zwischen den Zeilen. Methoden, die hierbei Verwendung finden, sind teilnehmende Beobachtungen, qualitative und narrative Interviews, dichte Beschreibungen und Kartierungen von Orten der eigenen Erfahrung.
Beispiele für Kategorien von Begegnungsorten sind:
* Kooperative Orte, die durch genossenschaftlichen Funktionen markiert werden oder wurden, und jenseits ihrer bloßen Funktion fast beiläufig einen gesellschaftlichen Mehrwert generieren: die Milchbank, der Raiffeisenmarkt, die Alpe, der Löschteich, der Waagstadel, …
* Informelle Orte, die nicht öffentlich gewidmet sind, aber öffentlich genutzt werden, wo also öffentliche Reglementierungen nicht greifen: der Heimgarten (Hoigarta), die Lichtstube, der Stadel, die Besenwirtschaft/Flindern…
* Eroberte Orte, die einer bestimmten halböffentlichen/öffentlichen Nutzung gewidmet sind und von anderen informellen Nutzungen überlagert werden: das Disco-Bushäuschen, der Poser-Skilift, der Party-Parkplatz, der Bolz-Bauplatz, die Stammtisch-Verkehrsinsel, der Spielplatz-Wendehammer, die Späti-Tankstelle, die Kraul-Kiesgrube, …
* Bestimmte Orte, die durch einen Namen oder einem lokalen Alleinstellungsmerkmal zum Ort werden und man hier beispielsweise einen Treffpunkt leicht bestimmen kann: der Windrad-Treff, die Schöne-Aussicht-Bank, die Knutsch-Bank, der Stachus, …
* Heimliche Orte, die aufgrund ihrer Lage, ihres Zuschnittes, ihrer Bonität von untergeordnetem öffentlichem und privatem Interesse sind und deswegen für informelle Nutzungen offen sind und bei denen, wie auch bei informellen Orten, öffentliche Reglementierung nicht greifen: die Grenzertragsfläche, die Brache, das Ödland, der Zwickel, die Lagerfläche,…
* Gefeierte Orte, deren Gebrauch bestimmt ist durch Zeitpunkte, Jahreszeiten, Feiertage und Datumsangaben und deren Existenz angewiesen ist auf eine spontane, informelle oder organisierten, gemeinschaftliche Initiative, teilweise initiiert und begleitet von Vereinen, Stammtischen, Nachbarschaften, Genossenschaften oder Freundeskreisen: Kappenabend, Fronleichnamsteppiche, Ortsteil-Kerwa, Johannisfeuer, Funkenfeuer, ...
und viele mehr …